Unter dem einfachen wie weitgreifenden Titel „Wälder“ stemmen das Deutsche Romantik-Museum, das Senckenberg Naturmuseum Frankfurt und das Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg noch bis 11. August ein überaus engagiertes Ausstellungsprojekt. Die transdisziplinäre Schau verknüpft, verteilt auf die drei Häuser, Zugänge aus Wissenschaft und Kunst, Ökologie und Alltag, von damals und heute. Mit Exponaten aus den Künsten, der Kultur- und Forstgeschichte sowie den Naturwissenschaften spannt sie den Bogen der Betrachtung unterschiedlicher Wälder auf unserem Planeten von der Romantik über die Gegenwart bis in die Zukunft. Vor dem Hintergrund von Klima- und Biodiversitätskrisen bringt die Ausstellung am Beispiel des hochromantischen Themas „Wald“ frühe Ansätze zur Entwicklung anderer Naturverhältnisse in Dialog mit aktuellen Fragestellungen.

Das neue Verständnis der Natur in der Romantik mit seinen Auswirkungen bis in die Gegenwart steht im Fokus der Ausstellung im Deutschen Romantik-Museum. Welches Naturverständnis die romantischen Künstler und Schriftsteller:innen, Wissenschaftler und Komponist:innen um 1800 in ihren Wald-Arbeiten entwarfen und wie aktuell dieses ist, steht im Zentrum des ersten Kapitels „Der ganze Wald“, der hier mit Augen und Ohren erfahren werden kann.


Der Borkenkäfer als Lehrmeister

Das zweite Kapitel „Waldumbau“ erzählt vom schlechten Zustand des Waldes in dieser Zeit und macht nachvollziehbar, dass die Wälder, durch die wir heute streifen, ein Produkt forstwirtschaftlicher Praktiken sind, die damals entwickelt wurden. Den nicht menschlichen, den „(tierlichen) Waldumbau“ behandelt das dritte Kapitel. Es betrachtet und belauscht den Borkenkäfer und seine Verwandten, die sich, wenn wir die Perspektive verändern, als Lehrmeister für den dringend gebotenen Umbau zu einem klimaresilienten Mischwald verstehen lassen. Das vierte Kapitel erkundet den „Wald von Nahem“. Es führt in den faszinierenden Mikrokosmos der Moose, Pilze und Flechten und in den unsichtbaren Unterwald. Die Nahsicht lässt die Komplexität von Ökosystemen erahnen. Das fünfte Kapitel der Ausstellung fragt, ob nicht nur Menschen, sondern auch Wälder Rechte haben. Rechte der Natur sind seit einigen Jahren in verschiedenen Verfassungen verankert worden. Ob ihre Anerkennung, die mit einer Pflicht zur Fürsorge für die Natur verbunden ist, einen Weg aus der Not der Wälder weist?

Im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt erwarten die Besucher auf einem außergewöhnlichen Waldspaziergang aktuelle Perspektiven der Naturwissenschaften im Spiegel ihrer gesellschaftlichen Relevanz im Austausch mit künstlerischen Forschungen. Eine Wanderkarte leitet durch die Kapitel „Wälderwissen“, „Das ,Wir‘ und die Wälder“, „Leben und Sterben der Wälder“ sowie „Wälder modellieren“, die in der ersten und zweiten Etage des Museums – eingebettet in die Dauerausstellung – zu entdecken sind. Der Weg führt unter anderem zu einer indigenen Universität des Waldwissens im Amazonasgebiet, einem Protestcamp zum Waldsterben bis hin zu einem Kameraflug von den Wurzeln in die Wipfel eines virtuellen Urwalds. Erstaunliche wissenschaftliche Ergebnisse aus der Senckenberg-Forschung und zahlreiche Präparate von Waldbewohnern werden spannungsreich ergänzt durch Positionen des dänischen Künstlers Jakob Kudsk Steensen und der Schweizer Künstlerin Ursula Biemann, die in eine eindrucksvolle Bilderwelt ihrer eigenen Erforschung der Wälder einladen.

Im Museum Sinclair-Haus kann man sich auf eine sinnliche Wald-Erkundungsreise begeben: Drei Ausstellungskapitel öffnen den Blick für neue Sichtweisen auf Natur in den Künsten der Romantik und der Gegenwart. Im Kapitel „In die Wälder!“ spricht das Zusammenspiel von Texten aus der Romantik und zeitgenössischen Kunstwerken wie bei einem Waldbesuch unterschiedliche Sinne an. Die Arbeit „One Tree ID“ von Agnes Meyer-Brandis etwa basiert auf der Tatsache, dass Pflanzen „Volatile Organic Compounds“ (VOCs) emittieren und damit kommunizieren. „One Tree ID“ verdichtet die Duft-Identität eines bestimmten Baumes zu einem komplexen Parfüm, das Besuchende benutzen können, um als Mensch möglicherweise an der Pflanzenkommunikation teilhaben zu können.

Das zweite Kapitel „Erdlebenbilder“ zeigt Waldbilder in den Medien Zeichnung, Malerei, Fotografie, Musik und Datenvisualisierung. Sie erzählen davon, wie faszinierend Wälder auf Menschen wirken, wie (bild-)gewaltig und zugleich zerbrechlich diese vielschichtigen Ökosysteme sind. Das dritte und letzte Ausstellungskapitel „Waldangst – Waldlust“ lockt in den Wald als Ort des Schauderns. Das Kapitel hat zwei Teile: Im ersten führen Märchen, Bilder und Objekte aus der Kunst und Populärkultur auf die Spuren menschlicher Urängste. Der zweite Teil dieses Kapitels dreht den Blick um: Hier steht die Sorge um die Zukunft der Wälder im Mittelpunkt – und die Frage, was trösten und Hoffnung schenken kann. Was können wir von der Romantik für unsere heutigen Beziehungen zu Wäldern lernen?

Weitere Informationen zum Projekt finden sich unter www.waelder-ausstellung.de.

Katalog & Podcast

Neben dem 176 seitigen Begleitkatalog mit Texten zu Wäldern in den Künsten der Romantik und Gegenwart, zur Forstwirtschaft, zu Pilzen, Flechten, zu den Rechten der Wälder und zu den Wäldern der Zukunft ist der dreiteilige Wälder-Podcast auf der Seite des Museums Sinclair-Haus zu empfehlen: https://kunst-und-natur.de/museum-sinclair-haus/programm/podcast/waelder-podcast-artnvielfalt. Die Podcastreihe lädt ein, Verbindungen zwischen romantischen und zeitgenössischen Vorstellungen vom Wald zu erkunden – auch und gerade vor dem Hintergrund ökologischer Krisen. Künstler:innnen und Wissenschaftler:innen erörtern gemeinsam im Gespräch mit der Journalistin Marilena Berends ihre Perspektiven auf ein Thema.

Vortragsprogrammen in der Mediathek abrufbar

Wir alle sind auf Wälder angewiesen! Als großflächige naturnahe Ökosysteme sind Wälder für uns ein wichtiger Erholungs- und Lebensraum. Sie liefern Holz, Wasser und saubere Luft und regulieren das Klima. Unzählige Tier- und Pflanzenarten finden hier ihre ökologische Nische. Aber schon immer stehen Wälder im Spannungsfeld verschiedenster Nutzungsanforderungen – wie können sie diese künftig noch erfüllen? Denn auch der Klimawandel setzt den Wäldern weltweit zu, dabei sind diese gleichzeitig ein Schlüsselelement im Kampf gegen die Erderwärmung. Und wie kann eine klimaangepasste, nachhaltige Waldwirtschaft künftig aussehen, sind hier ganz neue Ansätze notwendig? Welche Rolle spielen einzelne Komponenten des Waldökosystems – und wie bewahren wir das große Ganze?
Eine neunteilige Vortragsreihe hat das mehrteilige, transdisziplinäre Ausstellungsprojekt „WÄLDER. Von der Romantik in die Zukunft“ bis Juli begleitet. Im Internet (siehe Link unten) sind acht Vorträge abrufbar:

21.3.: Forest for Future? Unser Wald im Klimawandel (Prof. Dr. Thomas Hickler, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und Goethe-Uni Frankfurt)
24.4.: Vom Waldsterben der 80er Jahre zum Waldsterben in der Klimakrise (Prof. Dr. Michael Suda, Technische Universität München)
14.5.: „Wood Wide Web“: Fakten und Mythen um Mykorrhizen (Prof. Dr. Andrea Polle, Ernst-August-Universität Göttingen)
13.6.: Waldmeister mit Schnabel: Spechte als Schlüsselspieler im Naturorchester (Dr. Kerstin Höntsch, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung)
18.6.: Welche Waldnutzung? Konflikte um den Wald der Zukunft (Dr. Deike Lüdtke, ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung)
27.6.: Boden des Jahres 2024: Waldboden – komplex, selbstorganisiert und schutzwürdig (Prof. Dr. Friederike Lang (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) 4.7.: Wald im Wasser – Mangrovenökosysteme und ihre Bedeutung für Klimaschutz und Artenvielfalt (Prof. Dr. Martin Zimmer, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung)
11.7.: Totholz, Käfer, Kalamitäten – Chancen für den Wald der Zukunft? (Prof. Dr. Jörg Müller, Julius-Maximilians-Universität Würzburg)

Abrufbar unter: https://www.youtube.com/playlist?list=PLu2nD5Nr8-4ioteSQ5URIDBD35p6vcEXX

Autor / Autorin: RED | Fotos: Ursula Biemann, Sven Tränkner, Nicole López

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